Eines Tages, es war Ende Oktober 2001, stellte ich beim Spazierengehen fest, dass meine linke Hand völlig taub war. Das hatte ich damals aber noch nicht mit dem Begriff “Lähmung” in Verbindung gebracht. Nur durch einen Arschtritt meiner damaligen Lebensgefährtin bin ich zum Arzt. Von da an ging alles sehr schnell. Erst zum Hausarzt (Fr, 26.10.), schon am Montag, 29.10.) zum Neurologen. 2 Tage später kam ich ins Krankenhaus auf die Neurologie. Es standen sehr viele Untersuchungen an. Nach 8 Tagen kam ich auf die Neuro-Chirugie. Das einzige was sich dort geändert hat war, dass die Schwestern wie eiskalte Engel wirkten und sehr distanziert waren. Am 9 Tag bekam ich dann am Abend von Frau Prof. Verheggen meine Diagnose, Tumor in Höhe der HWS C2 – C8, am Rückenmark mit Raumforderung und die Notwendigkeit einer OP. Das Risiko dabei war, dass ich mit Lähmungen rechnen müsste. Die aber mit der Zeit wieder zurück gehen könnten.
Jetzt stellen sie sich vor, ich hatte mich gesund gefühlt und mir wird erzählt, dass ich gelähmt sein könnte oder sein werde, wenn ich am nächsten Tag aus der Narkose aufwache. Natürlich wollte ich die Einwilligung zur OP nicht unterschreiben.
Bis ich von der Prof. auf den Pott gesetzt wurde. Sie erklärte mir, dass ich mich entscheiden könnte ob ich einer OP zustimmte, mit dem Risiko von Lähmungen, aber auch der Chance, dass diese zurück gehen und ich weiter leben könnte oder mich nicht operieren ließe, der Tumor weiter wachsen würde, erste Lähmungserscheinungen aufkämen wie z.B. schon an meiner Hand, später Arme und Beine gelähmt sein würden und zu guter Letzt Atemlähmungen auftreten würden und ich in sechs Monaten schon tot sein könnte.
Herzlich willkommen in der Realität, sie haben die Wahl!
Ich glaube, es war der reine Lebenswille der mich dazu bewogen hat mich operieren zu lassen. Nur eine Unterschrift von mir die ausmachte, ob ich weiter lebe oder sterben werde. Ob ich Lähmungen bekomme und elendig zu Grunde gehe oder durch eine Operation gelähmt sein werde, aber mein Leben behalte.
Für mich brach eine Welt zusammen. Aber realisieren konnte ich die Situation in dem Moment nicht.
Leider bewahrheitete sich die Aussage, dass ich nach der OP gelähmt währe. Leider auch schlimmer, als die Prof. vorher vermutete. Bis auf meinen rechten Arm war mein Körper tot. Ich hatte mich immer gefragt, warum ich in dem Moment nicht wütend sein konnte oder dass ich doch hätte schreien müssen vor Schock. Wahrscheinlich taten die starken Medikamente ihre Arbeit. Ich nahm es erstmal wohl irgendwie so hin. Bis ich nach einigen Tagen von der Intensiv- auf die normale Station kam. Dort wurde ich eines nachmittags auf einen Armlehnensessel gesetzt, mir wurde eine Decke über die Beine gelegt und ich konnte aus dem Fenster gucken. Ich kam mir vor wie ein sehr alter Mann.
Ich sah über die Häuser hinweg, auf einen Hügel mit Wiesen und Bäumen, hinter dem mein Arbeitgeber seinen Sitz hatte. Mir wurde bewusst, dass ich ein kleines Rad in einem riesigen System war, was nicht mehr funktionierte und jederzeit ausgewechselt werden kann. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, was vorm Karussell stand und nicht mitfahren durfte. Die Welt dreht sich weiter, ob mit mir oder ohne mich. Und trotzdem habe ich sehr lange Zeit geglaubt und gehofft, dass ich bald wieder meine Arbeit aufnehmen könnte. Mein Leben wieder in Ordnung kommen würde. [...]
Das schlimmste war, dass ich mir überflüssig vorkam. Niemand brauchte mich, niemandem war ich eine Hilfe. Meine Hobbies wie Joggen, Radfahren oder auf Inlinern stehen, konnte ich nicht mehr ausüben. Ich konnte mich nicht mal selbst waschen oder anziehen, geschweige denn auf Toilette gehen.
Ich hatte oft dieses eine Bild im Kopf. Von einem alten Eisenbahnwagon, der irgendwo auf einem Abstellgleis steht. Zugewachsen und einfach vergessen. Mein Leben hatte sich auf einen Schlag um 180 Grad gewendet. Meine Träume und Ziele wurden mit den Lähmungen in einem einzigen Moment zerzört.
Mit der Zeit wanten sich immer mehr meiner Freunde von mir ab. Mit mir war ja nichts mehr anzufangen. Ich war auch nicht mehr das lustige Kerlchen. Ich fiel über die Jahre in ein tiefes Loch. Die Tage wurden trostloser und einsamer. Heute weiß ich, dass gerade so eine Erfahrung stark dazu beiträgt, in schwere Depressionen zu fallen. Es hat mir schier die Beine weggerissen.
Gesundheitlich ging es lange Zeit bergab. Als meine Lähmungen langsam zurück gingen, kamen immer stärkere Schmerzen - Nervenreißen auf. Ich wusste nicht mehr, wie ich liegen oder sitzen sollte. Ich bekam immer stärkere Medikamente. Die machten mich immer müder und schläfriger. So hatte ich lange Zeit vor mich hin vegetiert, dass Therapeuten und meine Eltern dachten, dass ich ins Pflegeheim müsste.
Und trotzdem war ich in den besseren Zeiten immer wieder soweit motiviert, dass ich regelmäßig an Rehamaßnahmen teilgenommen hatte und auch Zuhause Ergotherapien und Physio bekam.
Meine Hoffnungen, mich irgendwann wieder bewegen -vielleicht sogar Gehen zu können, hatte ich nie aufgegeben. Ich konnte und wollte meine Situation – gelähmt zu sein – nicht akzeptieren.
(c) SHG Plötzlch gelähmt! Gemeinsam wieder vorwärts
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